Psychische Belastungen
Jeder Mitarbeiter hat in der Arbeit Bedingungen, die auch psychisch auf ihn einwirken. Diese Arbeitsbedingungen bezeichnet man als psychische Belastungen. Belastungen können in folgenden vier Bereichen entstehen:
- Arbeitsaufgabe (z.B. zu hohe Anforderungen an Sehen oder Hören, hohe Konzentration, monotone Arbeitsabläufe, fehlende Einschulung, zu hohe Verantwortung)
- Sozial- und Organisationsklima (z.B. mangelnde Unterstützung durch die Führungskraft bzw. Kollegen, zu viele Schnittstellen, keine Einflussmöglichkeit bei Problemen)
- Arbeitsumgebung (z.B. ungünstige Beleuchtung, Lärm, ungünstiges Umgebungsklima, Platzmangel und ungünstige Arbeitsplatzausstattung wirken sich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch aus)
- Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation (z.B. häufige Unterbrechungen, belastende Arbeitszeitgestaltung, keine Pausen, fehlende Information, Zeitdruck)
Diese Bedingungen (psychische Belastungen) treffen auf einen Mitarbeiter und dann hängt es von seinen individuellen Voraussetzungen und auch von der privaten Lebenssituation ab, wie sich diese Belastungen auswirken.
Die Auswirkungen von psychischen Belastungen bezeichnet man als psychische Beanspruchungen. Sehr oft sind die Beanspruchungen adäquat, das heißt, die Mitarbeiter fühlen sich weder über- noch unterfordert, sie erleben Herausforderung und Lernen. Wenn aber psychische Arbeitsbelastungen zu zahlreich oder zu intensiv sind bzw. zu lange dauern, kann es zu negativen Auswirkungen auf den Mitarbeiter kommen.
Bei der Evaluierung psychischer Belastungen werden konkrete Arbeitsbedingungen (Belastungen), die sich psychisch negativ auswirken können, mit standardisierten Methoden erfasst. Es wird also erhoben, welche Arbeitsbelastungen in einer Gruppe von Mitarbeitern gehäuft auftreten. Nicht erfasst werden die Beanspruchungen, d.h. es wird nicht erhoben, ob sich die Mitarbeiter z.B. gestresst fühlen, abends nicht abschalten können oder unter permanenter Erschöpfung leiden.
Aufbauend auf eine fundierte Erfassung psychischer Belastungen können präventive Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Untersuchungen zeigen, dass Maßnahmen zur Prävention psychischer Belastungen eine Reihe von positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter, die Arbeitszufriedenheit, die Betriebskultur, die Arbeitssicherheit und damit auch auf den Geschäftserfolg des Unternehmens haben.
Evaluierung psychischer Belastungen
Seit Jänner 2013 wird im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen ausdrücklich betont. Eine Evaluierung psychischer Belastungen ist ein Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und im Wesentlichen folgende Schritte umfasst:
- Planung und Vorbereitung
Zur Planung wird eine Steuergruppe gebildet. In dieser Gruppe sollten Führungskräfte, die Sicherheitsvertrauensperson, der Arbeitsmediziner, die Sicherheitsfachkraft und der Betriebsrat vertreten sein. In kleinen Betrieben besteht diese Gruppe oft nur aus der Führungskraft und die SVP. Unter anderem werden folgende Fragen besprochen:
- Gibt es Hinweise auf psychische Belastungen?
- Welche bestehenden Informationsquellen können bereits genutzt werden? (z.B. Mitarbeiterbefragungen, Krankenstände, Fluktuation, …)
- Welche Gruppen von Mitarbeitern können unterschieden werden? Mitarbeiter die ähnliche Rahmenbedingungen im Hinblick auf Tätigkeit, Organisation, Sozialklima und Arbeitsumgebung haben, müssen bei der Erfassung der Belastungen und bei der Ableitung von Maßnahmen zu einer Gruppe zusammengefasst werden. Zusätzlich zu den unterschiedlichen Mitarbeitergruppen muss auch die Gruppe der Führungskräfte berücksichtigt werden. In jeder Gruppe wird dann eine Evaluierung mit einer für diese Gruppe spezifischen Gefahrenermittlung und auch spezifischen Maßnahmenfestlegung durchgeführt.
- Wie läuft der Gesamtprozess zur Erfassung psychischer Belastungen und zur Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen ab? Wie kann dieser Prozess möglichst gut auf die organisatorischen Rahmenbedingungen im Betrieb abgestimmt werden?
- Welche Führungskraft trägt die Verantwortung für den Ablauf und wer übernimmt welche Aufgaben bei der Umsetzung? Hier ist insbesondere auch zu entscheiden, wer Befragungen auswertet bzw. Workshops moderiert oder Interviews durchführt.
- Wie werden die Führungskräfte und die Mitarbeiter informiert? Bei der Information der Mitarbeiter hat sich eine zeitnahe Information bewährt. Das heißt, dass immer jene Mitarbeitergruppen vertieft informiert werden, bei denen die Durchführung der Evaluierung psychischer Belastungen auch unmittelbar bevorsteht.
- Welches Erfassungsinstrument wird in der Analysephase eingesetzt? Belastungen können mit einem Fragebogen, im Rahmen eines moderierten Gesprächs, mit einem Beobachtungsverfahren oder mit Einzelinterviews erhoben werden.
- Mitarbeiterinformation:
Wenn psychische Belastungen erfasst werden, ist es wichtig, die Führungskräfte und die Mitarbeiter intensiv einzubeziehen und zu beteiligen. Die Mitarbeiter werden darüber informiert, dass es bei der Evaluierung psychischer Belastungen darum geht, ihre Arbeitsbedingungen zu erfassen. Wenn sich dabei herausstellt, dass bestimmte belastende Bedingungen gehäuft genannt werden, dann wird bei diesen Bedingungen gemeinsam mit den Mitarbeitern nach Lösungsansätzen gesucht.
- Zur Erhebung psychischer Belastungen muss ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt werden. Hier hat die Arbeitsinspektion in einem Leitfaden (siehe unten) Kriterien festgelegt, die anerkannte Verfahren erfüllen müssen. Zur Erhebung von Belastungen stehen Beobachtungsverfahren (z.B. SIGMA), Einzelinterviews (z.B. SGA), Fragebögen (z.B. BASA II, KFZA) oder moderierte Gruppengespräche (z.B. ABS-Gruppe) zur Verfügung. Auf der Evaluierungsplattform eval.at können kostenfreie Verfahren bezogen werden: www.eval.at → Evaluierung psychischer Belastungen → Verfahren zur Evaluierung psychischer Belastungen.
- Ableitung von Maßnahmen: Wenn psychische Belastungen mit einem Fragebogen ermittelt wurden, findet nach der Auswertung der Fragebögen in jeder Auswertungsgruppe ein Gespräch mit allen oder einem Teil der Mitarbeiter statt. Ziel dieser Gruppengespräche ist es, die Ergebnisse der vorangegangenen Befragung zu präzisieren und zu ergänzen. Wenn sich z.B. in der Befragung ergeben hat, dass Zeitdruck auftritt, ist u.a. zu klären, in welchen Situationen dieser Zeitdruck auftritt und was die Ursachen für den Zeitdruck sind. Ausgehend von den Informationen, die sich aus dieser vertieften Analyse ergeben, werden gemeinsam mit den Mitarbeitern Maßnahmen zur Prävention psychischer Belastungen entwickelt und diskutiert.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen müssen dabei vorwiegend an der Quelle bzw. den Ursachen der arbeitsbedingten psychischen Belastungen ansetzen und nicht nur beim Verhalten der Personen. Beispiele für Maßnahmen, die an den Ursachen ansetzen sind: Häufigkeit von Unterbrechungen und Zeitdruck reduzieren z.B. durch rechtzeitige Information und Planung, Ansprechen und Bewältigen von Konflikten, soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen fördern, Entwicklungsmöglichkeiten (lebenslanges Lernen, Aufstieg), Vereinbarkeit Arbeit / Privatleben, Aufgabenvielfalt und Abwechslung, Entscheidungsspielräume und Beteiligungsmöglichkeiten schaffen, Anerkennung, eine optimierte Verteilung der Arbeit mit klar definierten Arbeitsaufgaben und Rollen, Transparenz bei Entscheidungen, rechtzeitige und ausreichende Information.
Die Moderation der Gruppengespräche sollte durch Personen erfolgen, die über Moderationserfahrung und über Wissen zu arbeitspsychologischen Gestaltungsmöglichkeiten verfügen. Die Workshops sollten nicht von Personen moderiert werden, die hierarchisch über- oder untergeordnet sind.
Beim Verfahren ABS-Gruppe werden die Erhebung psychischer Belastungen und die Ableitung von Maßnahmen in einem Schritt, im Rahmen eines moderierten Workshops, durchgeführt.
- Umsetzungsbesprechung mit den Führungskräften: Den Führungskräften werden die Ergebnisse der Workshops präsentiert. Die Führung kann in diesem Rahmen natürlich auch eigene Vorschläge entwickeln. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es sich um Belastungen handelt, die mehrere Gruppen betreffen oder um Belastungen, die sich aus Schnittstellen ergeben. Die Führungskräfte entscheiden, welche Maßnahmen wann und von wem umgesetzt werden.
- Rückmeldung an die Mitarbeiter: Die Mitarbeiter werden über die geplanten Maßnahmen informiert und es wird begründet, warum andere Maßnahmen, die von den Mitarbeitern vorgeschlagen wurden, nicht umgesetzt werden können.
- Dokumentation: Der Ablauf des Evaluierungsprozesses, die Ergebnisse und die Maßnahmen werden im Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument erfasst. Bei den Maßnahmen ist darauf zu achten, dass sie vorwiegend an der Quelle bzw. den Ursachen der arbeitsbedingten psychischen Belastungen und nicht nur beim Verhalten der Personen ansetzen (§ 7 ASchG). Darüber hinaus muss für jede einzelne Maßnahme ein Verantwortlicher für die Umsetzung und ein Umsetzungstermin festgelegt werden.
- Wirksamkeit prüfen: Ein Jahr, nachdem mit der Umsetzung der Maßnahmen begonnen wurde, sollte eine weitere Befragung der Mitarbeiter durchgeführt werden. Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen dann, inwieweit die gesetzten Maßnahmen zu einer Belastungsreduktion geführt haben. Darüber hinaus können aber auch neue Belastungen erkannt werden, die in dem Zeitraum seit der letzten Erhebung entstanden sind. Je nach Ausmaß der vorhandenen Belastungen kann es erforderlich sein, weitere Gespräche mit den Mitarbeitern zu führen und darauf aufbauend die bestehenden Maßnahmen zu adaptieren bzw. weitere Maßnahmen festzulegen. Eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Evaluierung muss unter anderem insbesondere dann durchgeführt werden, wenn Zwischenfälle mit erhöhter arbeitsbedingter psychischer Fehlbeanspruchung aufgetreten sind (z.B. gehäufte Erkrankungen, Beschwerden, Fluktuation)
Die Abläufe, die unten dargestellt werden, stellen prototypische Vorgehensweisen dar, die an den Betrieb angepasst werden müssen. So wird z.B. in Kleinbetrieben oft auf eine schriftliche Befragung verzichtet und ausschließlich mit moderierten Workshops nach dem Verfahren ABS-Gruppe gearbeitet. In großen Betrieben stellt sich die Frage, welches Analyseverfahren inhaltlich gut geeignet ist und die Anforderungen der Arbeitsinspektion erfüllt.
Vorgehensweise bei kleinen Mitarbeitergruppen (bis ca. 20)
1. Planung |
2. Information der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen |
3. Gestaltungsworkshops nach den Vorgaben der Arbeits-Bewertungs-Skala -ABS Gruppe: Belastungen erfasse, bewerten und präzisieren Maßnahmen ableiten |
4. Umsetzungsbesprechung mit den Führungskräften Rückmeldung an die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen |
5. Dokumentation und Umsetzung |
6. Wirkungskontrolle |
Vorgehensweise bei großen Mitarbeitergruppen (ab ca. 20)
1. Planung mit Betriebsführung, PFK, Betriebsrat od. SVP, ev. ext. Berater
2. Information der Mitarbeiter/Innen
3. Fragebogenerhebung psychischer Belastungen auf 4 Dimensionen (z.B. mit dem KFZA)
4. Information über die Ergebnisse
5. Gestaltungsworkshops mit ausgew. Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen
Belastungen präzisieren
Maßnahmen ableiten
6. Umsetzungsbesprechung mit den Führungskräften und
Rückmeldung an die Mitarbeiterinnen
7. Dokumentation und Umsetzung
8. Wirkungskontrolle
Die Evaluierung psychischer Belastungen ist vollständig wenn:
- Psychische Belastungen mit geeigneten Verfahren standardisiert ermittelt wurden
- Messergebnisse beurteilt sind (wo ist welcher Handlungsbedarf)
- Geeignete ursachenbezogene, kollektiv wirksame Maßnahmen abgeleitet sind
- Maßnahmen umgesetzt werden und im Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument eingetragen sind
- Die Wirksamkeit überprüft wird
Weiterführende Informationen:
- Die AUVA in Innsbruck bietet kostenlose Beratungen zur Evaluierung psychischer Belastungen an. Bei diesen Beratungen wird gemeinsam mit der Betriebsführung eine Vorgehensweise bei der Evaluierung psychischer Belastungen entwickelt, die an die spezifische betriebliche Situation angepasst ist. Betriebe, die an dieser Beratung Interesse haben, können sich an MMag. Martin Unterkircher wenden: martin.unterkircher@auva.at
- Detaillierte Informationen zur Evaluierung psychischer Belastungen und entsprechende Hintergrundinformationen finden Sie im Leitfaden der Arbeitsinspektion zur „Bewertung der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen im Rahmen der Kontroll- und Beratungstätigkeit“ (Version August 2013) http://www.arbeitsinspektion.gv.at → Gesundheit im Betrieb → Psychische Belastungen → Leitfaden der Arbeitsinspektion zur Bewertung der Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen bei der Kontroll- und Beratungstätigkeit
- Die Evaluierungsunterlage der AUVA „Evaluierung psychischer Belastungen. Die Arbeits-Bewertungs-Skala – ABS Gruppe“ beinhaltet neben Informationen zu dem Thema auch ein Evaluierungsverfahren, das vor allem für mittlere und kleine Betriebe gut geeignet ist. www.auva.at → Service → Publikationen → Evaluierungshefte → E 14
- Auf der Evaluierungsplattform eval.at werden verschiedene Verfahren zur Verfügung gestellt, unter anderem auch ein Online-Befragungstool, das auf dem Kurzfragebogen zur Arbeitsanalyse (KFZA) beruht. http://www.eval.at → Evaluierung psychischer Belastungen → Kurzfragebogen zur Arbeitsanalyse